Vertiefung: Rhythmus

Fokus: Deutsch

Um die Differenzen der lateinischen und deutschen Aussprache zu ermitteln, müssen wir uns zunächst fragen: Was sind die Charakteristika der deutschen Aussprache?

Im Deutschen folgt die Aussprache der Betonung des Wortakzentes. Die Länge oder Kürze von Silben ist für den Rhythmus irrelevant. Lediglich in der Vokalquantität wird zwischen langen und kurzen Vokalen differenziert. Rhythmisch relevant ist im Deutschen die Wortbetonung, also das Verhältnis von Hebungen zu Senkungen. Muttersprachler wissen intuitiv, wo der Wortakzent eines deutschen Wortes liegt. Dieser ändert sich in der Flexion (Beugung; grammatische Ausdifferenzierung) nicht. So wird bei der Konjugation des Verbs „lieben“ stets der Stammvokal betont: „Ich liebe, wir lieben“ (1. Sg. vs. 1.Pl.). Die Betonung wird zudem im Lexemverband - d. h. innerhalb der Wortfamilie - „vererbt“. Das Substantiv „Liebe“ wird entsprechend dem Verb „lieben“ auf dem Stammvokal betont. Allgemein kann bezüglich der Akzentuierung des Deutschen festgehalten werden, dass die erste Silbe bzw. die Stammsilbe die bevorzugte Akzentstellung im Deutschen darstellt (in „Líebe“ wird die Stammsilbe betont, bei der Präfixderivation „Vórliebe“ allerdings die erste Silbe).

Für die Rhythmisierung durch den Wortakzent vergleichen Sie folgende Beispiele aus Prosa und Dichtung:

Kafka, Die Verwandlung:
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.

Goethe, Faust I:
Da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.

Fokus: Latein

Auch im Lateinischen verfügt jedes Wort über einen Wortakzent. Dieser liegt allerdings nicht immer an der gleichen Stelle eines Wortes. Flexion kann beispielsweise eine Veränderung des Wortakzents hervorrufen, was – wie eben beschrieben – im Deutschen nicht möglich ist. Das liegt daran, dass sich der lateinische Wortakzent nach den Quantitäten richtet und somit (unter Berücksichtigung der Paenultima-Regel) einerseits flexibel, andererseits an bestimmte grammatische Paradigmata gebunden ist (beispielsweise sind bestimmte Personal-/ Kasusendungen paradigmatisch lang bzw. kurz).

Caesar, Bellum Gallicum, I 1:
Gallia est omnis divisa in partes tres.

Martial, Epigrammata, VIII 29:
Disticha qui scribit, puto, vult brevitate placere.

Quid prodest brevitas, dic mihi, si liber est?