Quantitierendes Lesen

Um das neu aufgenommene Wissen nun zu festigen, möchten wir eine Übung anschließen. Wie bereits im Einleitungstext erwähnt, besteht zwischen der Artikulation von Dichtung und Prosa kein grundsätzlicher Unterschied. Ziel der Übung ist es, eine Lesefassung zu erstellen, in der lange Vokale und Wortakzente vermerkt sind. Daher stehen – im Gegensatz zu einer metrischen Analyse, die ihren Fokus auf Silbenquantitäten legt – die Vokalquantitäten im Vordergrund. Sie sehen also, dass Sie für das korrekte historisierende Aussprechen von lateinischen Texten keine vollständige metrische Analyse vornehmen müssen. Es genügt, den Fokus auf die Vokallängen und Wortakzente zu legen.

Als Beispiel für die Übung dient uns Martials Epigramm I, 30:

Chirurgus fuerat, nunc est uispillo Diaulus:
coepit quo poterat clinicus esse modo.

Schritt 1

Laden Sie sich das Textblatt herunter und drucken es aus. Markieren Sie dann jeweils die langen Vokale mit einem Makron (¯)!

Schritt 2

Überprüfen Sie die eingetragenen Längen.

Chīrūrgus fuerat, nunc est uispillo Diaulus:
coepit quō poterat clīnicus esse modō.

Schritt 3

Tragen Sie die Wortakzente ein. Denken Sie dabei an die Paenultima-Regel!

Schritt 4

Überprüfen Sie nun die Wortakzente:

Chīrū́rgus fúerat, núnc est uispíllo Diaúlus:
coépit quṓ póterat clī́nicus ésse módō.

Schritt 5

Lesen Sie den Text so, als hätten Sie einen Prosatext vor sich, den Sie nun besonders rhythmisch lesen. Machen Sie keine Pausen, sondern üben Sie so lange, bis Sie die beiden Verse an einem Stück lesen können. Ignorieren Sie also auch die Satzzeichen. Um Ihnen die Artikulation von Lautketten zu erleichtern, können Sie die folgende Visualisierung nutzen:

Chīrū́rgusfúeratnúncestuispílloDiaúluscoépitquṓpóteratclī́nicuséssemódō.

Schritt 6

Hören Sie sich die Musterlösung an und sprechen sie nochmals nach.

Chīrū́rgus fúerat, núnc est uispíllo Diaúlus:
coépit quṓ póterat clī́nicus ésse módō.

Wenn ihre Artikulation nicht der Musterlösung gleicht, wiederholen Sie die Übung so lange, bis sich das Ergebnis annähert. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Text nicht so rhythmisch klingt, wie Sie es vom iktierenden Lesen noch gewohnt sind, dann könnte es daran liegen, dass Sie die Quantitäten nicht stark genug differenzieren. Üben Sie so lange weiter, bis Sie beim eigenen quantitierenden Lesen des Zweizeilers einen Rhythmus heraushören können.