Tutorium Augustanum

Archäologie

Die Einbeziehung archäologischer Quellen wird für die althistorische Forschung immer wichtiger. Dies gilt natürlich besonders für jene Zeitabschnitte, die selbst keine oder nur eine geringe schriftliche Überlieferung hinterlassen haben, also eigentlich in den Bereich der Vor-Geschichte fallen, aber in späteren historiographischen Darstellungen aus der Antike behandelt wurden und deshalb traditionell in den Zuständigkeitsbereich der Alten Geschichte fallen. Konkret ist hier v. a. an die griechische und römische Frühgeschichte oder an die Geschichte der Provinzen im Norden und Westen des Römischen Reiches zu denken. Für den Lehramtskandidaten werden archäologische Denkmäler aufgrund der – etwa in neuen Lehrbüchern – verstärkt angestrebten Visualisierung von Geschichte ebenfalls eine ständig größere Rolle spielen. Das gilt übrigens für die Hilfswissenschaften generell. Da Historiker traditionell eher textzentriert arbeiten, ist die Fähigkeit, Bild- und Sachquellen adäquat zu interpretieren, oft nur unzureichend entwickelt. In den Schulbüchern finden sich in der Folge bisweilen völlig ungeeignete und im schlimmsten Fall gar irreführende Illustrationen.

Jedem, der sich ernsthaft mit archäologischen Bild- und Sachquellen beschäftigt, wird schnell bewusst werden, dass diese im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht leichter, sondern in der Regel wesentlich schwieriger zu verstehen sind als Textquellen. Das hängt damit zusammen, dass die Aus-Sage etwa eines Vasenbildes ja erst durch die Übersetzung des Mediums "Bild" in das Medium "Sprache" gewonnen werden muss, während dieser Vorgang der Versprachlichung bei Textquellen entfällt. Es ist zudem ein fataler Irrglaube, zu meinen, Bilder verstünden sich aus sich selbst heraus. Vielmehr verfügt jede Zeit und jede Kultur über einen Code von Bildzeichen und -konventionen, der erst entschlüsselt werden will, bevor sich konkrete Bedeutungen erschließen. Diese Entschlüsselung ist ohne Rekurs auf schriftliche Quellen (bei einem Vasenbild etwa Bildbeischriften!) oft überhaupt nicht zu leisten. Ohne aus literarischen Quellen gewonnene Kenntnis der griechischen Mythologie werden viele Darstellungen gänzlich unverständlich bleiben. Andererseits ist durchaus nicht klar, welche Beziehung zwischen den Vasendarstellungen und den uns erhaltenen literarischen Traditionen besteht. Die Darstellungen könnten sich auf verlorene Werke beziehen oder aber selbst kreativ neue Mythenversionen entwickelt haben. Generell gilt, dass die Interpretation von Bildern ein großes Hintergrundwissen und einen hohen Grad an theoretischer Reflexion erfordert. Denn: Man sieht, was man weiß. Und das muss nicht immer von Vorteil sein.

Keineswegs selbsterklärend sich auch sonstige Ausgrabungsbefunde: Ziel der sich von älteren, kunsthistorisch orientierten Tendenzen absetzenden new archaeology ist es, aus der materiellen Hinterlassenschaft einer Kultur Rückschlüsse auf ihre soziale, politische und wirtschaftliche Organisation zu ziehen. Eine archäologische Grabung erzählt freilich zunächst einmal keine "Geschichte", sondern bildet bestenfalls eine Folge von "Zuständen" ab. Daraus eine dynamische Siedlungsgeschichte zu konstruieren, ist oft ohne Hinzuziehung einer literarischen Überlieferung unmöglich. Die Interpretation von Brandschichten ist ein gutes Beispiel: Vom archäologischen Befund her lässt sich oft nicht eindeutig entscheiden, ob es sich um einen "normalen" Brand, eine bewusste Demolierung (z. B. bei Truppenlagern durch die abziehenden Soldaten) oder das Zeugnis einer Plünderung durch äußere Feinde handelt. Derartige Deutungen werden dann aber oftmals unter Verweis auf Berichte der antiken Tradition vorgebracht. Methodisch bedeutet dies natürlich, dass der archäologische Befund in einem solchen Zusammenhang keine unabhängige Quelle darstellt, die die schriftlichen Quellen bestätigen kann. Dennoch finden sich solche Zirkelschlüsse nicht selten.

Gewiss sind auch Textquellen interpretationsbedürftig: Das beginnt schon mit der Übersetzung aus einer anderen Sprache. Und auch Textquellen können nur mit einer angemessenen Kenntnis des kulturellen Entstehungs- und Rezeptionskontextes angemessen gedeutet werden. Während aber jedermann plausibel ist, dass man einen lateinischen Text nur verstehen kann, wenn man Latein gelernt hat, geben Bilder oft zu dem Missverständnis Anlass, sie böten eine universale Sprache, die sich voraussetzungslos mitteile. Analog besteht vielfach kein ausreichendes Bewusstsein dafür, wie schwierig und hypothesenbehaftet die Deutung von Ausgrabungsbefunden ist und welch große Unsicherheiten aufgrund der Fragmenthaftigkeit der Überreste zwangsläufig verbleiben müssen. Die Vollständigkeit von Rekonstruktionen und Modellen in populären Präsentationen täuscht darüber allzu leicht hinweg.

Tendenziell unproblematischer ist es, wenn archäologische Befunde im Verhältnis zur literarischen Tradition negativ ausfallen, z. B. wenn ein den literarischen Quellen entsprechend zu erwartender Zerstörungshorizont nicht nachweisbar ist, wie dies etwa für den Gallierbrand Roms 386 v. Chr. gilt. Hier zeigt der Grabungsbefund, dass es eine großflächige Zerstörung entgegen der römischen Rückerinnerung offensichtlich nicht gegeben hat. Die Beispiele sind nicht von ungefähr gewählt, denn – wie es H. Thompson formulierte – „[d]er Archäologe liebt […] nichts mehr als ein erstklassiges Unglück: eine Zerstörung, einen Brand, einen Vulkanausbruch, ein Erdbeben. Jedes derartige Geschehen kann ihm einen versiegelten Behälter mit wertvollem Material bescheren.“ Man könnte hinzufügen: Nichts dürfte kommenden Archäologengenerationen mehr Kopfzerbrechen bereiten als die – überlieferungstechnisch gesehen – Unsitten der Müllvermeidung, Mülltrennung und Wiederverwertung.

Schon die Vielfalt der archäologischen Quellen verbietet es, hier eine Zusammenfassung in wenigen Zeilen zu versuchen. Die Archäologie ist gewiss keine Hilfs-, sondern eine ausgewachsene Schwesterwissenschaft. Verwiesen sei deshalb auf die folgenden Grundlagenwerke:

  • Hölscher, Tonio (Hg.): Klassische Archäologie. Grundwissen, Darmstadt 2022 (5. vollst. überarb. u. erw. Aufl.).
    Gewissermaßen das archäologische Pendant zu Gehrke/Schneider. Stellt ein solides Wissensfundament über die Ergebnisse der Klassischen Archäologie zur Verfügung.
  • Borbein, Adolf H./Hölscher, Tonio/Zanker, Paul (Hgg.): Klassische Archäologie. Eine Einführung. Berlin 2009 (2. Aufl.).
    Führt in Methoden und neuere Forschungstendenzen des Faches ein.
  • Alcock, Susan E./Osborne, Robin (Hgg.): Classical archaeology (= Blackwell studies in global archaeology), Oxford 2012 (2. Aufl.).
    Verbindet die Anliegen der beiden zuvor genannten Werke. Sehr empfehlenswert!
  • Fischer, Thomas: Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie, Darmstadt 2001.
    Für den Althistoriker besonders interessant ist die von vornherein weniger kunstgeschichtlich ausgerichtete Provinzialrömische Archäologie, die sich mit den Sachüberresten der römischen Herrschaft außerhalb Italiens befasst – ein Bereich den die romzentrierte literarische Überlieferung eher stiefmütterlich behandelt.
  • Laurence, Ray: Roman archaeology for historians (= Approaching the ancient world), London/New York 2012.
    Keine technische Einführung für Archäologen, sondern eine Darstellung des Erkenntnispotentials archäologischer Quellen für Historiker, vornehmlich anhand von Beispielen aus dem römischen Britannien.​​​​​​​

An weiteren Einführungen sind zu nennen:

  1. Sinn, Ulrich: Einführung in die Klassische Archäologie (= C. H. Beck Studium), München 2011 (2. Aufl.).
  2. Hoff, Ralf von den: Einführung in die Klassische Archäologie, München 2019.
  3. Lange, Franziska: Klassische Archäologie. Eine Einführung in Methode, Theorie und Praxis, Tübingen 2002.
  4. Bäbler, Balbina: Archäologie und Chronologie. Eine Einführung, Darmstadt 2012 (2. Aufl.).
  5. Niemeyer, Hans-Georg: Einführung in die Archäologie, Darmstadt 1995.
  6. Bergemann, Johannes: Orientierung Archäologie: Was sie kann, was sie will (= rowohlts enzyklopädie), Hamburg 2000.
  7. Sörries, Reiner: Spätantike und frühchristliche Kunst. Eine Einführung ins Studium der christlichen Archäologie (= UTB Kunstgeschichte 3521), Köln 2013.

Sehr empfehlenswert ist die folgende Monographie, die sich speziell mit den Möglichkeiten, aber auch Gefahren (!), der Heranziehung archäologischer Quellen für althistorische Fragestellungen beschäftigt:
Hall, Jonathan M.: Artifact and artifice. Classical archaeology and the ancient historian, Chicago 2014.

Die genannten Werke fokussieren auf die Erforschung der materiellen Hinterlassenschaften von Griechen und Römern. Es ist jedoch durchaus nützlich, auch über den Tellerrand des unmittelbaren eigenen Forschungsinteresses hinauszublicken, und sich in Methodenfragen auch Anregungen aus der archäologischen Forschung zu prähistorischen, nachantiken und außereuropäischen Kulturen zu holen. Ein epochenübergreifendes und globales Verständnis der Archäologie als Wissenschaftsdisziplin liegt den folgenden Einführungen zugrunde:

  1. Renfrew, Colin; Bahn, Paul: Basiswissen Archäologie. Theorien, Methoden, Praxis, Darmstadt 2009.
    Deutsche Übersetzung einer im angelsächsischen Bereich sehr erfolgreichen Einführung („Archaeology: theories, methods and practice“), die mittlerweile (2012) in der 6. erw. Aufl. erschienen ist.
  2. Cunliffe, Barry/Gosden, Chris/Joyce, Rosemary A. (Hgg.): The Oxford handbook of archaeology, Oxford 2009.
  3. Catsambis, Alexis/Ford, Ben/Hamilton, Donny L. (Hgg.): The Oxford handbook of maritime archaeology, Oxford 2011.
  4. Eggert, Manfred K. H.: Archäologie: Grundzüge einer historischen Kulturwissenschaft, Tübingen 2013 (2. Aufl.).
  5. Eggert, Manfred K. H.: Prähistorische Archäologie – Konzepte und Methoden, Tübingen 2012 (4. überarb. Aufl.).
  6. Eggert, Manfred K. H./Samida, Stefanie: Ur- und frühgeschichtliche Archäologie (= UTB Basics), Tübingen 2013 (2. überarb. u. akt. Aufl.).
  7. Trachsel, Martin: Ur- und Frühgeschichte. Quellen, Methoden, Ziele (= UTB 8369), Zürich 2008.
  8. Hodder, Ian: The archaeological process. An introduction, Oxford 1999.

Davon abgesehen kann es nicht schaden, auch einmal das Veranstaltungsangebot der Professur für Klassische Archäologie in die Semesterplanung mit einzubeziehen. Gastvorträge ermöglichen überdies ein Hineinschnuppern in diverse archäologische Forschungsfelder ohne sich mit einer festen Semesterwochenstundenzahl binden zu müssen. Einen guten Einstieg im Internet bietet das deutschsprachige Portal http://www.archaeologie-online.de.

Abschließend seien einige Datenbanken zusammengestellt, über die archäologisches Bildmaterial recherchiert werden kann:

  1. The Beazley Archive: http://www.beazley.ox.ac.uk.
    Umfangreiche Website mit Einführungen und Bildarchiven zu antiken Gemmen, Skulpturen und Vasen. Die Datenbank attischer Vasen enthält ca. 150 000 Einträge und 130 000 Illustrationen.
  2. Corpus Vasorum Antiquorum (CVA Online): http://www.cvaonline.org.
    Das CVA ist eine hochrenommierte Reihe von Katalogen internationaler Sammlungen griechischer Vasen. Vergriffene Bände können nun über das Internet benutzt und durchsucht werden. Das Bildmaterial ist teilweise identisch mit dem im Beazley Archive verfügbaren.
  3. Attic Vase Inscriptions (AVI): http://avi.unibas.ch.
    Aus dem von Henry R. Immerwahr erstellten Corpus of Attic Vase Inscriptions (CAVI) hervorgegangene Datenbank, die die Inschriften auf attischen Vasen erschließt. Mit umfangreichen Beschreibungen und bibliographischen Hinweisen.
  4. FARLI Ancient Pottery Database: http://apd.farli.org.
    Erschließt Keramikfunde vornehmlich aus der südlichen Levante; daneben findet sich auch Material aus Ägypten, Kleinasien und der Ägäis.
  5. Viamus – Virtuelles AntikenMuseum Göttingen: http://viamus.uni-goettingen.de.
    Das archäologische Institut der Universität Göttingen verfügt zu Studienzwecken über eine große Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulpturen. Diese steht nun in vorbildlicher Aufbereitung im Internet zur Verfügung.
  6. iDAI.objects/Arachne: https://arachne.dainst.org.
    Die zentrale Objektdatenbank des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Ursprünglich ein Bildarchiv zur antiken Plastik und ihrer Rezeption, mittlerweile bietet die Plattform auch eine Vielzahl anderer Inhalte, z. B. Digitalisate von Photoarchiven, alter Forschungsliteratur und CIL-Bänden. Hervorragend erschlossen, erfordert jedoch eine Registrierung. Die Arachne-Projekte in Auswahl: CIL Open Access, Fotobestände des DAI Rom, Fotosammlung Max von Oppenheim, Corpus der minoischen und mykenischen Siegel, Bilddatenbank der Gipsabgußsammlung antiker Skulpturen des Akademischen Kunstmuseums der Universität Bonn, Skulpturen der Berliner Antikensammlung, Glasnegative des DAI.
  7. The British School at Rome. Library and Archive Digital Collections: http://www.bsrdigitalcollections.it.
    Präsentiert Digitalisate von historischen Fotografien, Karten, Drucken, Dokumenten, Zeichnungen und Postkarten.
  8. Perseus Project: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/artifactBrowser.
    Das Perseus Project ist nicht nur für literarische Texte und Papyri eine wahre Fundgrube, sondern enthält auch hervorragende Bildarchive. Geboten werden v. a. Bilder griechischer Vasen aus etlichen Sammlungen, sowie Photosammlungen zu vielen archäologischen Ausgrabungsstätten im Mittelmeerraum.
  9. Digital Roman Forum: http://dlib.etc.ucla.edu/projects/Forum.
    Virtuelle Rekonstruktion des forum Romanum im Jahr 400 n. Chr. Dem reichen Bildmaterial ist eine vorbildliche wissenschaftliche Dokumentation beigegeben, die die archäologischen und literarischen Grundlagen der Rekonstruktionen offen legt. Die Einträge aus Richardsons New Topographical Dictionary (s. dazu Kap. 13.5) sind mit einer zweisprachigen Datenbank von Quellenbelegen verlinkt. Ein phantastisches Hilfsmittel!
  10. Athenian Agora Excavations: http://www.agathe.gr.
    Präsentation der amerikanischen Ausgrabungen auf der Agora von Athen. Besonders hilfreich sind die Rubriken „Research“ und „Publications“: Einführungsliteratur, Bilder und Pläne liegen hier in digitaler Form vor. Insgesamt kann man die Seite als ganz vorbildliches Beispiel für die Aufbereitung einer Grabung im Internet ansprechen.
  11. Le Plan de Rome: https://rome.unicaen.fr.
  12. The ancient city of Athens: http://www.stoa.org/athens.
    Bildarchiv zum antiken Athen. Die Bildqualität entspricht nicht mehr ganz dem heutigen Standard.
  13. Metis: http://www.stoa.org/metis.
    Virtuelle Rundgänge durch griechische Ausgrabungsstätten. Sehr zu empfehlen.
  14. Ara Pacis Augustae: http://cdm.reed.edu/ara-pacis.
    Bildarchiv zur Ara Pacis in Rom.
  15. Trajan’s Column: https://web.archive.org/web/20190703121009/http://www.stoa.org/trajan.
    Exzellentes Archiv mit über 500 Bildern zur Trajanssäule in Rom im Rahmen des Stoa Project.
  16. A Gazetteer of the Roman World: http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Gazetteer/Periods/Roman/home.html.
    Im Rahmen des Portals Lacus Curtius stellt B. Thayer ein außerordentlich reiches Photoarchiv v. a. zu Sehenswürdigkeiten in Italien bereit.
  17. Fasti Online: http://www.fastionline.org.
    Datenbank archäologischer Ausgrabungen (v. a. in Italien) seit dem Jahr 2000.
  18. The West Bank and East Jerusalem Searchable Map: http://digitallibrary.usc.edu/wbarc.
    Über ein Google Maps-Interface anfragbare Datenbank zu den archäologischen Fundplätzen mi Westjordanland.
  19. Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance: https://census.bbaw.de.
    Erschließt die in der Renaissance bekannten antiken Kunstdenkmäler.
  20. Artefacts, Encyclopédie en ligne des petits objets archéologiques: http://artefacts.mom.fr.
    Datenbank zu archäologischen Kleinfunden.
  21. Roman Open Data: https://romanopendata.eu.
    Ermöglicht eine differenzierte Suche mit kartenbasierten Visualisierungen im den Beständen des CEIPAC (Centro para el Estudio de la Interdependencia Provincial en la Antigüedad Clásica), das sich vor allem anhand von Amphorenfunden mit wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen befasst.