Von Inschriften und Institutsangelegenheiten…

Sowohl für den Ägyptologen und Philologen Karl Richard Lepsius als auch für den Epigraphiker und Klassischen Archäologen Wilhelm Henzen bezeichnete das Instituto di Corrispondenza Archeologica in Rom eine wichtige Etappe. Beide bekleideten Mitte des 19. Jhs. das Amt des redigierenden (zweiten) Sekretars: Lepsius Ende der 1830er Jahre und Henzen ab 1843. Während Henzen sein ganzes Leben in Rom verbringen sollte – 1856 wurde er zum Ersten Sekretar des Instituts ernannt –, erlangte Lepsius mit der von ihm durchgeführten Preußischen Ägyptenexpedition (1842–1845) große Bekanntheit. Seit 1840 Professor an der Berliner Universität, wurde Lepsius 1855 zum Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin ernannt.

In seinem Brief vom 25. August 1958 bittet Lepsius den Epigraphiker Henzen um fachlichen Rat. Einige Passagen lateinischer Inschriften bereiten ihm Schwierigkeiten bei der Entzifferung. Auch Theodor Mommsen habe sie bereits untersucht. Mommsen, seinerzeit ein bedeutender Altertumswissenschaftler, legte seinen Schwerpunkt auf römische Geschichte und lateinische Epigraphik und war die treibende Kraft hinter der Etablierung des Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL). 1853 wurde das Vorhaben, eine umfassende und systematische Sammlung lateinischer Inschriften herauszugeben, an der damaligen Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen und wird als Teil des Zentrums Grundlagenforschung Alte Welt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften bis heute fortgeführt. Nach 10 Jahren Arbeit brachten Mommsen und Henzen 1863 den ersten Band der Inscriptiones Latinae gemeinsam heraus.

Des Weiteren lobt Lepsius im Brief den kürzlich erschienenen ersten Band von Mommsens Römische Geschichte. Doch nicht nur Lepsius empfand große Bewunderung für dieses Werk und erkannte dessen Bedeutung für die Altertumswissenschaften; 1902 wurde Mommsen für sein mehrbändiges Werk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Der Brief zeigt beispielhaft, wie Korrespondenz dazu genutzt wurde, sich fachlich und kollegial innerhalb diverser Forschungsdisziplinen und über ihre Grenzen hinweg auszutauschen und zu unterstützen. Für Henzens Hilfe bietet Lepsius ihm im Gegenzug an, die Inschriften für das Bullettino zu verwenden. Das Bullettino dell’Instituto di Corrispondenza Archeologica berichtete in Form von Kurzbeiträgen über aktuelle Entdeckungen, Ausgrabungen und Forschungen. Das Bullettino und die jährlich herausgegebenen Annali sowie die Monumenti Inediti stellten die drei bedeutenden Periodica des Instituts dar. 1886 wurden sie durch die Mitteilungen des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung – heute die Römischen Mitteilungen (RM) – abgelöst.

Andererseits bietet der Brief auch einen kleinen Einblick in die frühen Institutsangelegenheiten: Zum Abschluss erwähnt Lepsius, der zu jener Zeit neben Eduard Gerhard, Theodor Mommsen u. a. Mitglied der Zentraldirektion des Instituts war, in seinem Brief die anstehende Institutsreform. Die Reform stellte einen bedeutenden Schritt in der Institutsgeschichte dar und führte schließlich dazu, dass das Institut für archäologische Korrespondenz 1871 in eine preußische Staatsanstalt umgewandelt wurde. Finanzielle Schwierigkeiten plagten das Institut, das zunächst als internationaler Privatverein gegründet worden war, immer wieder seit seiner Entstehung. Mit der Zeit übernahm das Preußische Kulturministerium mehr und mehr die Institutskosten, bis die Finanzierung ab 1859 gänzlich von der Preußischen Staatskasse getragen wurde. Diese Entwicklungen gingen mit einer zunehmenden „Nationalisierung“ des Instituts einher, das 1874 zum Kaiserlich Deutschen Archäologischen Institut ernannt wurde.

Der Brief von Lepsius an Henzen ist Teil einer Reihe bedeutender Korrespondenzen, die zwischen Institutsmitarbeitern und –mitgliedern, vornehmlich jedoch den Sekretaren, des 19. Jhs. versandt und in den 1970er und 80er Jahren maschinenschriftlich transkribiert wurden. Diese Abschriften erleichtern einerseits enorm die Lesbarkeit und damit Verständlichkeit der Briefe, die größtenteils in einer Kurrentschrift geschrieben und oft schwer lesbar sind. Andererseits ist es durch die Digitalisierung der Transkriptionen möglich, Verfahren zur automatischen Texterkennung einzusetzen (OCR) und die Texte maschinell zu verarbeiten.

„[…] Hierbei erlaube ich mir Ihnen unter Kreuzband einen vorläufigen Abzug der lateinischen Inschriften zu übersenden, welche mit den letzten Lieferungen des Ägyptischen Monumentenwerkes, wahrscheinlich noch vor Jahresschluß ausgegeben werden sollen. Sie sind größtentheils nach Abdrücken wiedergegeben von denen einige schwer zu entziffern waren. Es haben dabei manche Irrthümer in den von Letronne publicirten Inschriften berichtigt werden können. Ich habe einige schwierige Stellen auch Mommsen vorgelegt; doch bleibt einiges unklar, unter anderem N°. 44 1.7, wo man allenfalls Gallonen, wofür sich Mommsen gegen den Vers entscheiden möchte, lesen könnte. […]
Mommsen meint, die Inschriften könnten Ihnen vielleicht zu Bearbeitung für das Bullettino oder sonst gelegen sein. Sie stehen Ihnen für jeden Gebrauch zu Diensten. Ich lasse den Abzug noch anstehen, für den Fall daß Ihnen vielleicht eine Korrektur, um deren gefällige Mittheilung ich dann bitten würde, noch nöthig schiene.
Sie werden jetzt Mommsen’s Römische Chronologie erhalten haben, mit der er uns alle überrascht hat, ein Buch daß ihm neue Bewunderung eintragen muß. Gegen seine Beilagen 3 – 5 habe ich aber Einwendungen, die bereits im nächsten Akademischen Monatsbericht erwähnt worden sind.
Für die Ausführung der Institutsreform ist im Grunde die beste Aussicht vorhanden, obgleich uns der Finanzminister unerschöpfliche Schwierigkeiten macht. Es hilft ihm aber kein Streuben; doch ist Geduld noch immer nöthig; Gerhard wird sie immer au fait gehalten haben. […]“