Die ägyptische Stadt Assiut und der Gebel Assiut al-gharbi

Die Stadt Assiut und ihre Bedeutung

Die Stadt Assiut, 375 km südlich des heutigen Kairo gelegen, bietet in vielfältiger Weise ein reiches Forschungspotential. Materielle Hinterlassenschaften sind seit 4000 v. Chr. vor Ort bezeugt, von 3000 v. Chr.  bis heute sogar in ununterbrochener Abfolge. Assiut ist somit ein Forschungsraum, der durch seine longue durée besticht – und der selbst in einem Land wie Ägypten selten in diesen Dimensionen greifbar ist. Allerdings war dies nicht immer der Fall: Bis zu Beginn der deutsch-ägyptischen Ausgrabungen auf dem Gebel Assiut al-gharbi, dem am Westrand der Stadt gelegenen Wüstenberg, im Jahre 2003 war über die Geschichte der Stadt wenig bekannt.
Die Erforschung der Stadt weist einige Besonderheiten auf: Die antike Stadt selbst ist derzeit nicht zugänglich; unter den Ablagerungen der jährlichen Nilüberschwemmung sowie unter moderner Überbauung sind ihre Reste scheinbar unwiederbringlich verloren (Abb. 1). Tempel, Paläste, Bibliotheken, Wohnhäuser, Straßen – all dies ist nicht greifbar.
Hinweise auf die Stadt und ihre Geschichte sind jedoch über Schriftquellen wie auch über den Gebel Assiut al-gharbi (Abb. 2) greifbar. Am Rande der modernen Stadt erhebt er sich als Beginn der Westwüste bis zu 200 m hoch. Auf ihm finden sich Spuren menschlicher Nutzung über sechs Jahrtausende: als Friedhof für Menschen pharaonenzeitlichen, christlichen und muslimischen Glaubens, als Friedhof für Tiere, als Stätte der Heiligenverehrung, als antiker wie frühneuzeitlicher Steinbruch, Ausflugsziel für antike wie moderne Reisende, Rückzugsort für Eremiten, Ort für christliche Klöster, Schulstätte und Stützpunkt für Militärs. Die archäologische Untersuchung des Gebel Assiut al-gharbi bietet reichhaltige Informationen über Nutzung und Funktionswandel des Berges, aber auch über die Stadt Assiut selbst.  
In Kombination aller verfügbaren Quellen aus mehreren Jahrtausenden (schriftliche wie archäologische) erweist sich Assiut als eine Stadt besonderer Prägung. Durch ihre Lage am Karawanenweg Darb al-Arbain bot sie Kontakt zu den Oasen Charga und Dachla wie auch zum heutigen Sudan. Durch die Lage südlich des Gebel Abu el-Foda, der schmalsten Nilenge nördlich des Ersten Kataraktes, spielte die Stadt auch für die Nilschifffahrt eine wichtige Rolle. Obwohl mitten in Ägypten gelegen war sie eine Grenzstadt, Assiut war auch eine “wounded city” (also eine Stadt, die immer wieder Zerstörungen ausgesetzt ist) und eine Kulturstadt. Hiervon zeugen die Menge von Importen, die sich mehrfach wiederholende Zerstörung der Stadt oder mancher ihrer Teile während ausländischer Invasionen, innerer Unruhen oder Bürgerkriegen. Hiervon zeugen auch die herausragenden Kunstwerke und monumentalen Grabbauten, die aus Assiut bekannt sind. Texte und Bilder aus dem pharaonenzeitlichen Assiut (insbesondere aus der späten Ersten Zwischenzeit und 12. Dynastie) sind über zweitausend Jahre lang in ganz Ägypten wiederverwendet worden, teils in originalgetreuer Wiedergabe, teils neu konfiguriert und neu kontextualisiert. Assiut war somit ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses des Alten Ägypten.

 

Der Gebel Assiut al-gharbi


Der Gebel Assiut al-gharbi, der westliche Wüstenberg von Assiut (Abb. 3-5), ist in elf Kalksteinstufen mit einer Höhe von jeweils ca. 5 – 15 m unterteilbar. Die Steigungen betragen durchschnittlich 13 – 25°. Diese geologische Unterteilung hat auch die Anlage von Nekropolen auf dem Berg beeinflusst. Tausende von Felsgräbern wurden in die Kalksteinstufen gehauen und verleihen ihm das Aussehen einer Honigwabe. Getrübt wird das Bild einerseits durch die massiven Schutt- und Geröllhalden, die durch (legale wie illegale) Ausgrabungen entstanden, andererseits durch die Steilabbrüche, die frühmoderne Steinbruchtätigkeiten verursachten. Auf jeder geologischen Stufe des Berges sind Teile von ihm bzw. der auf ihm errichteten Felsgräber in die Luft gesprengt worden. Bildlich gesprochen wurde der Gebel Assiut al-gharbi seiner Haut und seines Fleisches beraubt und nur seine Knochen sind heute noch sichtbar.
Raubgrabungen und die Archäologie des frühen 19. Jahrhunderts führten zu einer Plünderung des Berges: Auf der Suche nach einzelnen wertvollen Objekten wurden Gräber und Klosteranlagen zerstört; Funde der frühen Ausgrabungen gelangten insbesondere in das British Museum London, in den Louvre in Paris, in das Ägyptische Museum in Turin und in das Ägyptische Museum in Kairo; Fundumstände wurden nicht oder nur unzureichend dokumentiert.

(Jochem Kahl)

 

Ausgewählte Publikationen des The Asyut Project zur Stadt und zum Berg: