Tutorium Augustanum

Gegenstand

Die Abgrenzung der Papyrologie als eigenständige Disziplin von Epigraphik und Klassischer Philologie ist nicht unproblematisch. Insbesondere Ulrich Wilcken, der Gründervater der modernen Papyrologie, plädierte etwa für einen Ausschluss der literarischen Papyri – gemeint sind solche, die literarische Texte überliefern –, da diese in das Aufgabengebiet des Klassischen Philologen fallen würden. Diese Beschränkung der Papyrologie auf dokumentarische Texte hat freilich Widerspruch hervorgerufen. Ähnlich wie die Epigraphik definiert sich die Papyrologie nicht ausschließlich über die physische Qualität, sondern auch den Fundort ihres Gegenstandes. Neben Papyri behandelt der Papyrologe auch Ostraka, Schreibtafeln aus Holz und teilweise sogar Inschriften – soweit die Texte in Ägypten gefunden wurden. Papyri haben sich nur in Gebieten mit extremer Trockenheit (Ägypten südlich von Kairo, Palästina; z. B. die berühmten Funde im ägyptischen Oxyrhynchos:
http://archive.csad.ox.ac.uk/POxy/VExhibition/vexhframe_hi.htm und http://www.papyrology.ox.ac.uk/POxy) bzw. unter Sonderbedingungen (z. B. die karbonisierten Papyri von Herculaneum) erhalten.

Die meisten Papyri stammen aus griechisch-römischer Zeit, da erst die Erfindung des kálamos im 3. Jh. v. Chr. eine breite Schriftkultur möglich machte: Mit dem Aufkommen dieser starren, an der Spitze gespaltenen Schreibfeder konnte sich eine alltagstaugliche Kursivschrift entwickeln. Aufgrund dieser geographisch und chronologisch ungleichmäßigen Fundverteilung hat sich die Papyrologie als ein Wissenschaftszweig etabliert, der sich der Erforschung von Papyri im Allgemeinen, sowie von griechischen und lateinischen Texten aus Ägypten als Ausdruck von dessen Geschichte und Kultur in griechisch-römischer Zeit im Besonderen widmet. Der besondere Wert der Papyrusquellen liegt darin, dass es sich in der ganz überwiegenden Mehrheit um sonst aus der Antike so spärlich überliefertes dokumentarisches Material handelt, also Primär- bzw. Überrestquellen. Außerdem erlauben uns Papyri einen Blick auf das Alltagsleben der Menschen in der Antike, liefern uns wertvolle Informationen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nicht zu Unrecht hat man daher davon gesprochen, dass die Papyri Geschichte "from a worm’s eye perspective" bieten.

Die wichtigste Aufgabe der Papyrologie ist die Edition der aufgefundenen Textzeugen. Es handelt sich hier um eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe, da sich die meisten Papyri in einem äußerst schlechten Erhaltungszustand befinden, und vor allem die dokumentarischen Texte überdies meist in Kursivschrift abgefasst sind, also dem Äquivalent der modernen Schreibschrift. Wie bei vielen Zeitgenossen kann diese Kursive bis hin zu kryptischen Wellenlinien degenerieren, so dass eine Lesung viel Erfahrung voraussetzt. Ähnlich wie für den Epigraphiker sind für den Papyrologen eine lange Erfahrung und der intensive Austausch mit Fachgenossen von zentraler Bedeutung. Für papyrologische Editionen wurde ursprünglich das bereits behandelte Leidener Klammersystem entwickelt, das nun auch in der Epigraphik und bei der Edition mittelalterlicher Codices Verwendung findet. Die Edition erfolgt zumeist in Bänden, die jeweils die Bestände einer bestimmten Papyrussammlung bzw. die Funde von einer bestimmten Grabungsstelle enthalten.