Tutorium Augustanum

Corpora

Schon Theodor Mommsen erkannte, dass die systematische Erforschung der epigraphischen Hinterlassenschaft der Antike zunächst eine Sammlung möglichst aller oder doch wenigstens eines repräsentativen Anteils aller Inschriften erfordert. Auf die Initiative Mommsens hin wurde mit der Edition des Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) begonnen, einer vom Anspruch her vollständigen Sammlung aller lateinischen Inschriften. Es liegt in der Natur derartiger Projekte, dass der Anspruch schon bei der Veröffentlichung nicht mehr eingelöst werden kann, da ständig neue epigraphische Zeugnisse zutage treten. Um diesem Problem abzuhelfen, werden in zwei jährlich erscheinenden Publikationen, dem Supplementum Epigraphicum Graecum (SEG) und der Année epigraphique (AE), alle Neufunde aus dem Gebiet der griechischen bzw. lateinischen Epigraphik publiziert. Zunehmend treten neben die gedruckten Corpora elektronische Datenbanken auf CD-ROM und im Internet.

So nützlich und notwendig die Corpora für die Arbeit des Epigraphikers sind, sie leisten zuweilen einem fundamentalen Missverständnis Vorschub, nämlich dass man den Text einer Inschrift für sich betrachten könne. Dies ist jedoch nicht der Fall, eine Inschrift ist immer als Monument zu betrachten, d. h. ihre Aussage ist wesentlich bestimmt durch ihre physische Erscheinung. Es macht etwa einen großen Unterschied, ob ein und derselbe Inschriftentext auf dem Stein mit einer Buchstabenhöhe von 4 oder von 14 cm ausgeführt ist! In modernen Editionen gehören daher ausführliche Beschreibungen des äußeren Erscheinungsbildes und Photos zum Standard. Folgende Corpora (und ihre gebräuchlichen Abkürzungen) und Auswahlsammlungen sollten Ihnen in jedem Fall bekannt sein, da sie als Standardreferenz für den Nachweis von epigraphischen Quellen dienen:

  1. Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL)
    Man beachte auch den vorbildlichen Internetauftritt des Projektes: http://cil.bbaw.de. Neben historischen Hintergrundinformationen, Informationsbroschüren im PDF-Format und einer Übersicht über die einzelnen CIL-Bände findet man hier zusätzliche Indizes und Konkordanzen mit älteren Corpora in elektronischer Form. Im Rahmen des Archivum Corporis Electronicum (ACE) ist es, nach Fotos von Originalen, Abklatschen, bibliographischen Hinweisen sowie Konkordanzen von Inschriften-Corpora zu recherchieren.
    Die vor 1940 erschienenen Bände des CIL werden derzeit digitalisiert und über die Plattform Arachne verfügbar gemacht (CIL Open Access): http://arachne.uni-koeln.de/drupal/?q=de/node/291.
  2. Inscriptiones Graecae (IG)
    Auch hier informiert der Internetauftritt über Geschichte und Umfang des Projektes: http://ig.bbaw.de. Bereits im Jahr 1903 wurde die Entscheidugn getroffen, das Unternehmen in Abgrenzung zu den Tituli Asiae Minoris (TAM) auf das griechische Festland und die Inseln der Ägäis zu beschränken. Auf einer Unterseite werden deutsche Übersetzungen zu neuen Faszikeln der IG geboten. Eine zweisprachige Präsentation findet sich unter http://pom.bbaw.de/ig.
  3. Corpus Inscriptionum Graecarum (CIG)
    Im Jahre 1877 fertiggestelltes Vorgängerwerk der IG, daher prinzipiell veraltet – zumal das CIG noch nicht wie die neueren Corpora nach dem Autopsieprinzip (Überprüfung der Lesung am Stein selbst) erstellt wurde. Da jedoch die IG kein dem CIL vergleichbares Komplettcorpus darstellen und auch niemals darstellen werden und da viele der im CIG edierten Inschriften mittlerweile verloren sind, muss man in manchen Fällen immer noch auf diese betagte Publikation zurückgreifen. Online z. B. unter https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV009486886.
  4. Inscriptiones Latinae Selectae (ILS)
    Auswahlsammlung lateinischer Inschriften mit (lateinischer!) Kommentierung. Alle Bände können im Internet Archive online benutzt werden: http://www.archive.org/stream/inscriptionesla00unkngoog (I), http://www.archive.org/stream/inscriptionesla00dessgoog (II.1), http://www.archive.org/stream/inscriptionesla01dessgoog (II.2), http://www.archive.org/stream/inscriptioneslat03dessuoft (III).
  5. Sylloge Inscriptionum Graecarum (Syll.3/SIG3)
    Auswahlsammlung griechischer Inschriften mit (lateinischer!) Kommentierung. Folgende Bände sind im Rahmen des Internet Archive digitalisiert: http://www.archive.org/stream/syllogeinscripti02dittuoft (II), http://www.archive.org/stream/syllogeinscripti03dittuoft (III).
  6. Orientis Graecae Inscriptiones Selectae (OGIS)
    Sowohl SIG3 als auch OGIS sind einigermaßen betagte Sammlungen. Naturgemäß gibt es zu etlichen Inschriften mittlerweile Neulesungen. Diese erschließt Gawantka, W.: Aktualisierende Konkordanzen zu Dittenbergers Orientis Graecae Inscriptiones Selectae (OGIS) und zur dritten Auflage der von ihm begründeten Sylloge Inscriptionum Graecarum (Syll.3) (= Subsidia epigraphica 8), Hildesheim/New York 1977. Im Rahmen des Internet Archive sind folgende Bände online konsultierbar: http://www.archive.org/stream/orientisgraeciin01dittuoft (I), http://www.archive.org/stream/orientisgraeciin02dittuoft (II).
  7. Inscriptiones Latinae Christianae Veteres (ILCV)
  8. Inscriptiones Christianae Vrbis Romae (ICVR)
  9. Année Epigraphique (AE)
    Die neueren Bände der AE bieten neben dem eigentlichen Text der angezeigten Neufunde bzw. Neulesungen auch eine Zusammenfassung der jeweiligen Thesen des Editors und ggf. kurze Kommentare der Herausgeber der AE (in eckigen Klammern).
  10. Supplementum Epigraphicum Graecum (SEG)
    Es gilt dasselbe wie für die AE. Das SEG ist unter http://referenceworks.brillonline.com in einer elektronischen Form konsultierbar, allerdings ist das Angebot nur von wenigen Bibliotheken in Deutschland lizenziert.
  11. Inscriptiones Italiae (InscrIt)
  12. Roman Inscriptions of Britain (RIB)
  13. Inscriptiones Latinae Liberae Rei Publicae (ILLRP)
  14. Roman Military Diplomas (RMD)
  15. Tituli Asiae Minoris (TAM)
    Die Bände sollen komplementär zu den auf das das griechische Festland und die Inseln der Ägäis beschränkten Inscriptiones Graecae (IG) die Inschriften aus Kleinasien erfassen. Die TAM berücksichtigen dabei jedoch neben den griechischen auch lateinische Texte.
  16. Monumenta Asiae Minoris Antiqua (MAMA)
    Die Reihe der zehn gedruckten Bände ergänzt http://mama.csad.ox.ac.uk (MAMA XI) mit Inschriften aus dem südlichen Phrygien, Lykaonien und Kappadokien.
  17. Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien (IK)
  18. Inscriptions grecques et latines de la Syrie (IGLS)
  19. Inscriptiones Graecae Urbis Romae (IGUR)
  20. Royal correspondence in the Hellenistic period (RC)
  21. Schenkungen hellenistischer Herrscher an griechische Städte und Heiligtümer (SHH)
  22. Die Staatsverträge des Altertums (StV)

Weitere Informationen finden Sie unter http://bcs.fltr.ucl.ac.be/EpiD.html.

Bitte zitieren Sie Inschriften nach Möglichkeit stets nach den großen Corpora bzw. Neufunde unter Angabe der SEG- bzw. AE-Veröffentlichung. Nur so ermöglichen Sie Ihren Lesern das unproblematische Nachprüfen der angegebenen Quellenreferenz. Sie ermitteln die entsprechenden Angaben für lateinische Inschriften am einfachsten, indem Sie den Text in den großen elektronischen Datenbanken nachweisen, die auch bibliographische Hinweise enthalten. Für griechische Inschriften und Publikationen bis zum Jahr 2006 können Sie die Konkordanz CLAROS konsultieren (http://www.dge.filol.csic.es/claros/cnc/2cnc.htm). Sofern eine IG-Referenz vorliegt, können über die IG-SEG-Konkordanz (http://www.ig.uni-muenster.de/igseg.dll) schnell die entsprechenden SEG-Einträge ermittelt werden. Hilft das alles nichts, bleibt der Griff zu den Indices von AE und SEG – viel Glück beim Blättern.