Sir William Hamilton (1730-1803)


Als im April 1803, Sir William Hamilton starb, trat eine der wohl interessantesten und vielseitigsten Persönlichkeiten seiner Zeit von der europäischen Weltbühne ab. Hamilton kam 1764 als englischer Gesandter an den Golf von Neapel, wo er zu einem engen Berater des Königs von Neapel und beider Sizilien wurde.
Hamilton war leidenschaftlicher Antikensammler: so trug er in seiner Villa eine außergewöhnliche Kollektion von 730 antiken griechischer und unteritalienischer Vasen zusammen, die aber auch Terrakotten, Bronzen, Gemmen und Schmuck umfasste. Diese erste Sammlung wurde 1772 für 8.400 Pfund vom Britischen Museum in London erworben und bildete den Grundstock der dortigen Antikenabteilung. Seine Kollektion konnte Hamilton relativ schnell zusammentragen, denn vor Ort erwarb er nicht nur Stücke aus bestehenden Sammlungen, sondern nutzte auch die damals üblichen Wege, an antike Kunst zu gelangen: Im 18. Jahrhundert waren Ausgrabungen noch keine wissenschaftlichen Unternehmungen, sie hatten vielmehr den Charakter einer exklusiven Unterhaltung für die Oberschicht und boten dem Rest der Bevölkerung eine Möglichkeit des Gelderwerbs. Ans Tageslicht gebracht wurde antike Kunst von professionellen Raubgräbern, daneben wollten auch einheimische Bauern die auf ihren Äckern entdeckten Funde zu Geld machen.

 

Die Publikation der ersten Hamilton’schen Sammlung


Hamilton scheute keine Kosten, seine Sammlung in aufwendigen Prachtbänden veröffentlichen zu lassen. Dies plante er bereits 1765, wie aus seinem Brief an Lord Palmerston hervorgeht, im dem er die Veröffentlichung als ein „sehr wertvolles Geschenk an die Altertumsforscher“ bezeichnete.


Zum Herausgeber bestellte er Pierre François Hugues (1719 bis 1805), den selbsternannten Baron d'Hancarville, einen begabten und gelehrten Abenteurer, der seine Mitmenschen zwar für sich einzunehmen verstand, aber ständig auf der Flucht vor seinen Gläubigern war. Für die beschreibenden Texte hatte Hamilton niemand Geringeres als Winckelmann selbst gewinnen können. Dessen Ermordung 1768 machte diesen Plan jedoch frühzeitig zunichte. D'Hancarville selbst übernahm daraufhin diese Aufgabe. Einige Texte hatte Winckelmann wohl noch geschickt, und d'Hancarville hat diese dann offenbar auch benutzt oder integriert. Aber was als präzise und umfassende Dokumentation gedacht war, platzte zusehends aus den Nähten. Denn d'Hancarville nahm Vasen aus anderen Sammlungen und sogar andere Kunstwerke mit auf und wollte schließlich eine Geschichte der antiken Kunst insgesamt schreiben. Aus den geplanten zwei Bänden wurden plötzlich vier und am Ende umfassten die Erläuterungen über 1000 Seiten, denn der Autor erweiterte den Erklärungsteil zu einer unabhängigen historischen Gesamtdarstellung der Kunst des klassischen Altertums, um sich so als Antikenkenner zu profilieren. Während die hohe Qualität und Genauigkeit der Abbildungen auf den über 400 teils handkolorierten Tafeln beim Publikum in ganz Europa großen Anklang fanden, sind d'Hancarvilles Texte fast unlesbar und passen darüber hinaus oft gar nicht zu den Abbildungen der Bände, in denen sie erschienen.


Den Angaben auf den Titelblättern zufolge wurde erste Band der „Antiquités étrusques, grecques et romaines. Tirées du cabinet de M. Hamilton envoyé extraordinaire et plenipotentiaire de S.M. Britannique en Cour de Naples" im Jahr 1766, die übrigen Bände 1767 gedruckt. Tatsächlich erschien der erste Band jedoch erst Ende 1767. Das Erscheinen des zweiten Bandes ließ bis 1770 auf sich warten. D’Hancarville hatte sich zwischenzeitlich anderen Projekten zugewandt und unter anderem mit zwei Werken pornographischen Inhalts einen Skandal ausgelöst. Er wurde aus Neapel ausgewiesen und floh im Herbst 1769 Hals über Kopf nach Florenz.
Noch länger musste das Publikum auf die letzten beiden Bände warten. 1773 erfuhr Hamilton, dass d’Hancarville die Druckplatten für den dritten und vierten Band verpfändet hatte. Er organisierte die Gläubiger in einem Syndikat, in das jeder einen Beitrag für die Publikation einzahlte, um ihre und seine Verluste zu decken. 1767 waren die Bände schließlich fertig gestellt und wurden wahrscheinlich in Florenz gedruckt.
Die vier Bände der „Antiquités étrusques“ sind höchst aufwendig ausgestattet. Zunächst sind die teilweise handkolorierten Tafeln zu nennen, die dem eigentlichen Zweck des Unternehmens dienten, Hamiltons Vasensammlung zu publizieren. Die Vasen werden – zumindest in den ersten beiden Bänden – meist in einer Ansicht, einer Profilzeichnung und einer Abrollung des oder der Bildfelder wiedergegeben. Die sorgfältig ausgeführten Illustrationen zeigen im Unterschied zur früheren Publikationen – wie etwa von Montefaucon oder auch Winckelmann - , dass das Interesse nicht mehr nur den dargestellten Themen für die gelehrte Interpretation, sondern auch der künstlerischen Ausführung der Gefäße selbst galt. Eine Neuheit waren die mit genauen Maßen versehenen Profilzeichnungen, bis heute Standard einer archäologischen Keramikpublikation.
Die Gestaltung des Textes steht derjenigen der Tafeln nicht nach. Prunkvolle Vignetten zieren Anfang und Ende der Kapitel, in denen d’Hancarville nicht nur über die Hamiltonsche Vasensammlung schreibt, sondern in enzyklopädischer Breite zugleich seine Sicht der Geschichte der Kunst des Altertums darlegt.
Der Text und die Tafelerläuterungen sind im ersten Band parallel in englischer und französischer Sprache, in den übrigen Bänden nur noch in Französisch abgefasst. Gerade der Text wird häufig sehr kritisch beurteilt. D’Hancarville wird vorgeworfen, unsystematisch und ohne klare Gliederung vorgegangen zu sein. So fehlen im ersten Band größtenteils die Erläuterungen zu den dort abgedruckten Tafeln. Eine allgemeine Abhandlung zur Vasenmalerei findet sich erst im zweiten Band. In den letzten beiden Bänden gilt d’Hancarvilles Interesse nicht mehr der Vasenmalerei, sondern der Skulptur und der Frage nach den Ursprüngen der Kunst in der Volksreligion. Diese Bände sind von ihm selbst in einem Schreiben an Hamilton gleichberechtigt neben Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Alterthums“ gestellt worden.

Die überragenden gestalterischen Fähigkeiten d’Hancarvilles werden im Vergleich mit zwei Nachdrucken des Werkes deutlich. 1785 bis 1788 erschien in Paris im Quartformat ein Nachdruck in fünf Bänden unter dem Titel „Antiquités étrusques, grecques et romaines. Gravées par. F.A: David avec leur Explications par d’Hancarville“. Die Anzahl der Abbildungen wurde gegenüber der Originalausgabe reduziert, die Aus-führung ist weitaus weniger sorgfältig.


Eine weitere Ausgabe, 1801 bis 1808 in Florenz herausgebracht, erschien wieder in vier Bänden unter demselben Titel wie das Original und behielt das Folioformat und die luxuriöse Ausstattung bei. Allerdings stimmt die Reihenfolge der Tafeln zum Teil nicht mit der Erstveröffentlichung überein, auch scheinen kleinere Teile weggelassen worden zu sein.

 

Die Publikation der zweiten Hamilton’schen Sammlung

Der Erfolg der „Antiquités étrusques“ zeigte sich zunächst in einer Richtung, mit der Hamilton wohl nicht gerechnet hatte: Die Preise für bemalte Vasen stieg in die Höhe, der Markt war bald ausgeschöpft. Hamilton hielt sich eine Zeit lang mit seiner Sammelleidenschaft zurück, konnte jedoch nicht widerstehen, 1790 mit neu entdeckten, seiner Meinung nach noch schöneren Vasen eine zweite Kollektion aufzubauen. Diese wurde zwischen 1794 und 1803 von Johann Heinrich Tischbein (1851-1829) veröffentlicht.
Die Publikation stand diesmal unter Hamiltons direkter Aufsicht, er selbst verfasste ein ausführliches Vorwort, in dem er seine Leidenschaft für die antiken Vasen darlegte. Der russische Gesandtschaftssekretär in Neapel André d’Italinsky (1743-1827) verfasste die detaillierten Beschreibungen der Tafeln. Für die Illustrationen war der damalige Direktor der Neapler Kunstakademie Johann Heinrich Tischbein (1751-1829) verantwortliche. Er verzichtete auf die aufwendige Kolorierung, gab die Vasenbilder in reinen Umrisszeichnungen wieder und etablierte damit eine bis heute übliche Form für die Widergabe von Vasendarstellungen. Am Ende der Bände finden sich Übersichtstafeln, auf denen verschiedenen Vasenformen und Ornamente musterbuchartig zusammengestellt sind.


Auch die Veröffentlichung dieser vierbändigen Publikation verzögerte sich. Der erste Band der „Collection Of Engravings From Ancient Vases Of Greek Workmanship” kam nicht 1791, wie auf dem Titelblatt angegeben, sondern erst 1794 auf den Markt. Der vierte Band erschien nicht vor 1803.
Ein großer Teil der Vasensammlung ging 10. Dezember 1798 auf dem Weg nach England mit dem Schiff Colossus unter. In den 1970er Jahren bargen Taucher einige der zerstörten Vasen aus dem Wrack.

 

Rezeption

Die „Antiquités" hatten aber nicht nur großen Einfluss auf die Altertumskunde und die Ästhetik, sondern auch auf die zeitgenössische Kunst und das Kunstgewerbe. Der Intention des Sammlers entsprach das genau, denn Hamilton wollte durch seine Publikation erklärtermaßen den Geschmack in England befördern, d. h. Vorbilder für künstlerische Werke und für die Produktion von kunstgewerblichen Ge-genständen liefern. Gerade deshalb kam auch der hochwertigen Reproduktion der Sammlungsstücke auf den Tafeln des Katalogs eine große Bedeutung zu.

Die neuartige Darstellung der Vasen in der Publikation der zweiten Hamilton’schen Vasensammlung nur in Umrissradierungen stieß nicht überall auf Zustimmung. Man fürchtete bei den zwischen 1797 und 1814 erscheinenden Neuauflagen und Nachdrucken, daß die schlichten Abbildungen für den Absatz nicht förderlich sein würden. Trotz dieser Vorbehalte entfaltete diese Darstellungstechnik eine große Wirkung. John Flaxman (1755-1826) orientierte sich bei seinen Illustrationen zur Antike an den Tafeln Tischbeins und etablierte auf diese Weise den Umrisslinienstil der Kunst um 1800. Josiah Wedgwood (1730-1795) übernahm für seine Keramik die Motive aus dem Prachtband d’Hancarvilles und verbreitete somit das Hamilton’sche Antikenbild in kürzester Zeit in ganz Europa.

Die große Bedeutung, die den "Antiquités" für die europäische Ästhetik und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts zukommt, hat sich in den letzten Jahren in einem vermehrten Interesse in Museologie und Forschung gezeigt. Das British Museum stellte 1996 "Vases and Volcanoes. Sir William Hamilton and his Collection" vor, in Deutschland war 1999 an der Universität Freiburg u.Br. die Ausstellung "1768. Europa à la grecque. Vasen machen Mode" zu sehen.

(M. Effinger)

 

Literatur von und über William Hamilton im Bestand der UB Heidelberg

 

Weiterführende Literatur (in Auswahl)

Robert Essick (Hrsg.): Flaxman, John: Flaxman's Illustrations to Homer, New York 1977

Pascal Griener : Le antichità etrusche greche e romane, 1766 - 1776 di Pierre Hugues d'Hancarville: la pubblicazione delle ceramiche antiche della prima collezione Hamilton, Rom 1992

Ian Jenkins / Kim Sloan: Vases & volcanoes : Sir William Hamilton and his collection, London 1996

Silke Köhn: Lady Hamilton und Tischbein : der Künstler und sein Modell ; [Begleitheft zur Ausstellung im Landesmuseum Oldenburg vom 20. Juni bis 26. September 1999], Oldenburg 1999

Europa à la grecque: Vasen machen Mode [ein Lesebuch zur Ausstellung, Archäologische Sammlung der Universität Freiburg i. Br., 8. April - 15. Mai 1999 ; Archäologische Sammlung der Universität Zürich, 3. November 2000 - 11. Februar 2001 ; Winckelmann-Museum Stendal 25. Februar - 1. Mai 2001] / hrsg. von Martin Flashar. -2. und erw. Aufl., München 2000

Arnd Friedrich (Hrsg.): Johann Heinrich Wilhelm Tischbein : (1751 - 1829) ; das Werk des Goethe-Malers zwischen Kunst, Wissenschaft und Alltagskultur, Petersberg 2001

Hancarville und die Hamiltonsche Vasensammlungen [vom 20. - 21. April 2001] / [hrsg. von der Win-ckelmann-Gesellschaft. Red. Maria Petras], Stendal 2005 (Heft des Arbeitskreises für Theorie und Ge-schichte der Kunstgeschichtsschreibung 4)

Carlo Knight: Hamilton a Napoli : cultura, svaghi, civiltà di una grande capitale europea, Neapel 2003

The collection of antiquities from the Cabinet of Sir William Hamilton = Die Antikensammlung aus dem Kabinett von Sir William Hamilton / Pierre-François Hugues d'Hangarville, Köln 2004

Faszination der Linie. Griechische Zeichenkunst auf dem Weg von Neapel nach Europa ; [Sonderaus-stellung, Antikenmuseum der Universität Leipzig in Zsarb. mit der Universitätsbibliothek, Bibliotheca Albertina, ... Leipzig, 21. Oktober 2004 bis 29. Januar 2005] / [Hrsg.: Hans-Ulrich Cain ... Texte: Hans-Ulrich Cain ...], Leipzig 2004